Hier fliegen die Fetzen. Die US-Fernsehserie "The Walking Dead" lässt haufenweise Untote auf eine Handvoll Helden los - und inspiziert ein Gemeinwesen im Angesicht der Apokalypse. Die heiß diskutierte Adaption eines populären Comics beweist: Der Zombie ist die Kultfigur der Stunde.
Als Robert Kirkman sich vor sieben Jahren entschloss, einen Zombie-Comic zu schreiben, glaubte er selbst nicht an den Erfolg. "Ich hatte eine Serie ohne Ende im Sinn", sagt der 31-Jährige. "Aber ich vermutete, dass ich nicht über die erste Folge hinaus kommen würde."
Falsch vermutet. Gerade ist die 75. Folge von Kirkmans Geschichte um den Provinzpolizisten Rick Grimes erschienen.
Rick Grimes erwacht nach einer Schussverletzung aus dem Koma und findet eine Welt vor, in der sich eine Handvoll Überlebende gegen Horden von Zombies verteidigen muss. Ein Stoff, in dem mehr steckt, dachten sich die Verantwortlichen des US-Fernsehsenders AMC. Sie bestellten eine Serienversion des Comics - und damit eines der meistdiskutierten Projekte der TV-Herbstsaison.
Denn Kirkmans Werk dreht sich letztlich nicht um Zombies, sondern um Menschen und ihre Beziehungen zueinander im Angesicht des Grauens. "Die Zombies sind bloß Hintergrundmusik", sagt der Autor. "Sie geben dem Drama Spannung, aber wichtig ist, was mit den menschlichen Figuren passiert."
Konkret heißt das zum Beispiel: Ricks siebenjähriger Sohn Carl bekommt eine Schusswaffe, um sich verteidigen zu können - und benutzt sie, um einen Menschen zu töten. Und ein Farmer sperrt eine Gruppe Zombies in seine Scheune. Untote Familienmitglieder, Nachbarn und Freunde, die er nicht einfach abknallen kann.
Wie Überlebende unter dem Druck des Horrors selbst zu sadistischen Monstern werden und nach der Außenwelt auch die Innenwelt der Figuren der Zerstörung ausgeliefert ist, das ist das zentrale Thema der Erzählung. Der Stoff ist eigentlich prädestiniert fürs Kino, aber Kirkman weigerte sich, ihn freizugeben. "Eine potentiell endlose Zombieserie für die Leinwand umzumodeln, ist völliger Blödsinn", sagt er.
Frank Darabont, der sich als Regisseur von Filmen wie "The Shawshank Redemption" einen Namen gemacht hat, suchte seit Jahren nach einem Stoff für eine Zombieserie. Kirkmans Arbeit passte perfekt. Das findet auch Gale Anne Hurd, eine Produzentin, die mit Filmen wie "Terminator" und "Aliens" schon andere Stoffe aus der B-Movie-Ecke geholt hat.
Auf der Branchenmesse Comic-Con im vergangenen Jahr setzten sich die drei mit Vertretern von AMC zusammen. Der US-Kabelsender hat ein Händchen für schräge Ideen - seine Serien "Mad Men" über eine Handvoll selbstverliebter Werbemacher kurz vor Beginn der Frauenbewegung und "Breaking Bad" über einen drogenkochenden Chemielehrer sind das Beste, was derzeit im US-Fernsehen zu sehen ist. Bei einem Abendessen in San Diego besiegelte man den Deal.
Kaltblütig warmhalten
Die Serie genehmigt sich einige Abweichungen von der Comic-Vorlage. Die Dreharbeiten zu Folge fünf von "The Walking Dead" starten in diesen Tagen in Atlanta, aber Ricks Dienstpartner Shane, der im Comic bereits in der ersten Folge stirbt, lebt noch, wie auch ein paar andere, die in der Vorlage früh dahinscheiden. Es gibt sogar einige Figuren, die nicht aus der Feder von Robert Kirkman stammen.
Doch der Autor gab seinen Segen. "Mir ist schon klar, dass viele von euch die Comics lesen", sagt er zu Fans auf der diesjährigen Comic-Con in San Diego, "aber ich fänd's blöd, wenn ihr vorm Fernseher sitzt und sagt: 'Aha, ich weiß schon, was als nächstes passiert.' Ich möchte, dass Comic und Fernsehserie getrennte Existenzen führen und dass die Serie so viele Überraschungen wie möglich bereithält."
Schon vor drei Jahren hatte Darabont mit dem Sender NBC über ein Zombie-Projekt verhandelt - erfolglos. Vielleicht war die Zeit noch nicht reif. Aber inzwischen haben sich Werwölfe, Vampire und andere Untote zur Milliardenindustrie entwickelt. "Heute kauft sich sogar Oma den 'Zombie Survival Guide'", sagt Darabont, der nach eigenen Angaben ein Hardcore-Zombiefan ist, seit er als 14-Jähriger George Romeros "Night of the Living Dead" sah.
Der Regisseur entschuldigt sich nicht für die Freiheiten, die er sich mit Kirkmans Stoff nimmt. Seine Begründung, wieso Ricks Dienstpartner Shane, der etwas mit dessen Frau Lori anfängt, keinesfalls gleich zu Beginn sterben durfte: "Bin ich bescheuert? Der Kerl ist Teil eines komplizierten Beziehungsdreiecks! Den halte ich mir bis in die dritte Staffel warm!"
Kirkman ist Koproduzent der Serie, die vierte Folge der ersten Staffel durfte er sogar selber schreiben. "Macht Riesenspaß", sagt er. "Das ist meine Chance, in die Vergangenheit zurückzukehren und etwas schon Geschriebenes noch mal zu verbessern." Gedreht wird "The Walking Dead" übrigens in Farbe, nicht in Schwarzweiß wie die Comics. "Ich will ja nicht, dass die Leute an der Serie vorbeizappen, weil sie denken, da läuft irgendein alter Film", sagt Kirkman.
Sterben der Reihe nach
Trotzdem geben die ersten Bilder, die in einem bei der Comic-Con vorgestellten Trailer zu sehen waren, die Stimmung der Vorlage eindrucksvoll wieder: leicht entsättigte Farben, menschenleere Totalen und Zombies, die einer kunstvollen Maske zum Dank kaum weniger bedrohlich sind als die aus den Federn der Zeichner Tony Moore und Charlie Adlard. Dazu ein melancholischer Score ("The sun ain't gonna shine anymore") und eine Besetzung, die erstaunliche physische Ähnlichkeit mit den Comicfiguren aufweist. Der Brite Andrew Lincoln ("Love Actually") spielt Rick Grimes, Jon Bernthal (derzeit in der Miniserie
"The Pacific" bei Kabel 1 zu sehen) ist Shane. Sarah Wayne Callies, die Knastärztin aus "Prison Break", spielt Ricks Frau Lori.
Ein großes Budget habe die Serie nicht, sagt Produzentin Hurd. "Und das ist völlig in Ordnung. Das spiegelt ja die Welt wider, die wir hier filmen. Wir wollten, dass das Ganze einen Old-School-Look hat. Wir haben uns sogar entschieden, statt digital auf Super-16 zu drehen."
Sechs Folgen hat der Sender AMC zunächst bestellt, und schon jetzt ist die Serie in 120 Länder verkauft, wo sie im Oktober zeitgleich mit dem US-Start anlaufen wird. In Deutschland ist sie beim Bezahlsender Fox über Sky zu sehen. Robert Kirkman schreibt unterdessen, wenn er nicht am Set in Atlanta fotografiert oder im
writers room der Serie sitzt, weiter in seinem Haus in Kentucky an "The Walking Dead". Noch mindestens zehn oder fünfzehn Jahre möchte er weitermachen.
Ob die Helden seiner Geschichte so lange durchhalten? Ob Carl, der taffe Sohn des Helden, den Ansturm der Untoten überstehen wird? "Ich würde ihn schon gern alt werden sehen", sagt Kirkman.